Progressiver Umgang mit Sexarbeit & Kampf gegen Zwangsprostitution

Das Thema Sexarbeit polarisiert - die einen finden sie "völlig normal", für andere ist sie verrucht und ein Tabuthema. Fakt ist aber, dass sie existiert. Unabhängig von eigenen Moralvorstellungen muss dafür gesorgt werden, dass Sexarbeiter*innen ihren Tätigkeiten in Würde und Sicherheit nachgehen können. Gleichzeitig müssen auch illegale Machenschaften wie Zwangsprostitution effizient bekämpft werden.

Diese Initiative wurde angenommen.

Initiator*innen
Alina Obst
Ute Walter
anonyme Ziege
Veröffentlicht am
26. Juli 2019
Bereich
Soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft, Arbeit & Finanzen
Einordnung
Einzelinitiative
Ebene
Bund

Es wurde auch folgende Variante eingebracht

Abgelehnt

Nordisches Modells für Prostituton- Umsetzung der Empfehlung der EU von 2014

... zur Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung durch die Umsetzung der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Februar 2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (2013/2103(INI)) die eine Empfehlung zur Einführung des Nordischen Modells für Prostitution beinhaltet. Das nordische Modell dient der Bekämpfung des Menschenhandel und Gewalt gegen überwiegend Frauen und Mädchen zum Zweck der Prostitution durch die Kriminalisierung der entgeltlichen Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen.

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Ergebnis der Abstimmung

Diese Initiative wurde angenommen.

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58 Personen haben an dieser Abstimmung teilgenommen.

Das waren 5 Prozent aller 1271 Abstimmungsberechtigten.

Diese Initiative soll zwei verschiedene Thematiken aufgreifen: 1. Mit freiwilliger Prostitution (= Sexarbeit) soll künftig progressiv umgegangen werden, d. h. es braucht eine arbeitsrechtlich liberale Handhabung von Sexarbeit sowie eine gesellschaftliche Entstigmatisierung. 2. Unfreiwillige Prostitution (= Zwangsprostitution) muss verstärkt bekämpft werden.

Diese Initiative spricht sich darüber hinaus dafür aus, das Thema Prostitution / Sexarbeit zu entmoralisieren. Jede*r hat eine eigene Meinung zum Thema Sexarbeit - diese reichen von "völlig normal" bis "tabu". Doch wir sollten unsere persönlichen Interessen und Meinungen möglichst aus der Debatte heraushalten.

Je nach Art der Sexarbeit (freiwillig oder unter Zwang) unterscheidet diese Initiative die entsprechenden Personengruppen voneinander: 1. Für Sexarbeiterinnen muss gelten: "My Body, My Choice". 2. Zwangsprostituierte müssen entdeckt und ihnen aus der Prostitution geholfen werden.

Jede Gesetzgebung, die die Rechte einer dieser Gruppen stärkt, sollte nicht die Rechte der jeweils anderen Personengruppe einschränken. Außerdem verbietet sich jede Gesetzgebung nach quantitativen Maßstäben, sondern hat sich an qualitativen Maßstäbe zu orientieren. Außerdem dürfen wir nicht in eine undifferenzierte Debatte verfallen, die einen haltlosen Zusammenhang zwischen Sexarbeit und Zwangsprostitution herstellt [20].

In der Begründung dieser Initiative ist an einigen Stellen auch von Menschenhandel die Rede. Dabei legen wir Wert darauf, klarzustellen, dass Menschenhandel und Zwangsprostitution keine Synonyme sind, d. h. es gibt sehr wohl Menschenhandel auch in anderen (gewerblichen) Bereichen, sowie es Zwangsprostitution gibt, die nicht notwendigerweise aus Menschenhandel resultiert. Zuletzt bleibt noch zu erwähnen, dass diese Initiative eine Grundsatzentscheidung für DiB darstellt, nämlich wie wir künftig mit dem Thema Sexarbeit umgehen wollen. Sollten wir den Weg dieser Initiative einschlagen, so wird es noch reichlich Diskussionsbedarf gehen, wie die folgenden Forderungen und Ziele konkret zu erreichen sind.

Problembeschreibung

Am 1. Januar 2002 trat das Prostitutionsgesetz (ProstG) in Kraft [1]. Bis dato galt Sexarbeit als sittenwidrig, was unter anderem bewirkte, dass Sexarbeiter*innen keine rechtliche Grundlage für ihre Tätigkeit hatten und so bspw. ihre Entlohnung nicht juristisch einfordern konnten. In den darauffolgenden Jahren zeigte sich ein erhebliches Problem mit Zwangsprostitution und Menschenhandel. Insbesondere Frauen aus osteuropäischen Staaten wurden und werden unter falschen Vorwänden in die Bundesrepublik gelockt und auf perfide Weise in eine Abhängigkeit gebracht, die sie in Zwangsprostitution drängen. Im Jahr 2017 legte die Bundesregierung nach und versprach sich eine Eindämmung der Probleme durch Einführung zweier weiterer Gesetze: Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) schreibt eine Anmeldung von Prostituierten beim Gesundheitsamt mit vorheriger Gesundheitsberatung sowie eine Anmeldungspflicht von Prostitutionsstättenbetreibenden vor [2]. Ergänzend regelt die Prostitutionsanmeldeverordnung (ProstAV) die Formalia der Anmeldung der Prostituierten [3].

Dennoch sind Zwangsprostitution, Zuhälterei und Menschenhandel noch immer existent. Dumpingpreise und unwürdigste Bedingungen verschärfen diese Probleme noch zusätzlich. Restriktive ausländerrechtliche Bestimmungen sorgen dafür, dass sich nur sehr wenige ausländische Zwangsprostituierte an Beratungsstellen oder Strafverfolgungsbehörden wenden, da sie zumeist eine Abschiebung zu befürchten hätten.

Daher fordern einige ein Sexkaufverbot nach nordischem Modell, wonach die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen gegen Bezahlung strafrechtlich verfolgt wird. Wir sehen im nordischen Modell nicht die Lösung bestehender Probleme aus folgenden Gründen:

  1. Aktuell belegt keine (von der schwedischen Regierung unabhängige) Studie, ob ein "Sexkaufverbot" tatsächlich Zwangsprostitution und Menschenhandel effektiv bekämpft oder stattdessen Prostitution lediglich in den Untergrund drängt und nur freiwillige Prostitution verhindert. Denn die Datenlage ist unklar [25], nicht zuletzt weil vermehrt online Anzeigen anstelle von Straßenprostitution auftauchen und sexuelle Dienstleistungen zunehmend in Privatwohnungen, Saunaclubs und andere Lokalitäten erbracht werden, die von der schwedischen Polizei nur unzureichend kontrolliert werden, was die amtliche Polizeistatistik verzerrt [21]. Die Möglichkeit, das Internet für sexuelle Dienstleistungen zu nutzen, wurden bei der Einführung des "Sexkaufverbots" durch die schwedische Regierung im Jahre 1999 nicht berücksichtigt. [4] [16] [17].
  2. Selbst wenn ein "Sexkaufverbot" wirken würde, zöge es unerwünschte Nebeneffekte mit sich. Denn durch ein verringertes Angebot würden - unter Annahme vergleichbarer Nachfrage - die Preise steigen, was wiederum Menschenhandel und Zwangsprostitution lukrativer gestalten würde. Auch dies ist einigen Quellen zufolge in Schweden zu beobachten [23]. Zugleich beobachten Sexarbeiter*innen, die einem Sexkaufverbot zu trotz ihrer Tätigkeit nachgehen, dass durch das Sexkaufverbot hauptsächlich die respektvolleren Kunden ausbleiben ("The threat of criminalisation in the near future has already scared away some of my clients: the most respectful ones. (Paris, 2014)" [27]
  3. Verbote von Unerwünschtem wurden in der Vergangenheit bereits oft probiert. Denn Konservativen scheinen sie eine einfache Lösung für komplexe Probleme zu sein. Einige dieser Verbote mussten aufgrund deren Unwirksamkeit (z. B. Prohibition in den USA) wieder aufgegeben und durch entkriminalisierende Gesetze (Entkriminalisierung von Cannabis oder auch anderen Drogen in verschiedenen Ländern wie bspw. Portugal) ersetzt werden. Denn durch ein Verbot der Nachfrage lässt sich diese nicht vollständig eindämmen. Stattdessen wird nur die schützende rechtliche Grundlage entzogen [27].
  4. Es gibt die eben erwähnte freiwillige Prostitution und viele andere Formen der Sexarbeit (Escort, Dominas, etc.) mit teils fließenden Übergängen (z. B. erotische Massagen). Menschen, die sich aus freien Stücken heraus prostituieren (möchten) oder anderen Formen der Sexarbeit nachgehen (möchten), müssen dies auch dürfen. Freiwillige Prostitution darf weder kriminalisiert noch verboten werden, da dies eine Einschränkung der eigenen Persönlichkeitsrechte darstellte und keine validen Daten existieren, ob das Nordische Modell tatsächlich funktioniert. Es kann keine DiB-Position sein, dass der Staat mündigen Bürger*innen vorschreibt, wie sie ihre Sexualität ausleben, solange sie einvernehmlich und ohne Verletzung der Rechte Dritter praktiziert wird. Die Motivation ist dabei irrelevant - ob nun Spaß, Emotionalität oder finanzielle Aspekte. Befürworter des Nordischen Modells bezeichnen Prostitution oft als "Sexkauf" oder gar als "Kauf von Prostituierten". Dieser moralisierenden Polemik ist entgegenzusetzen, dass Sexarbeit ein reines Dienstleistungsgeschäft darstellt.
  5. Das Nordische Modell wird von einer breiten Mehrheit der schwedischen Bevölkerung getragen. Allerdings führte dies auch zu einer verstärkten Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen. So befürwortet ebenso eine Mehrheit der Schwed*innen eine Bestrafung von Sexarbeiter*innen, anstatt - wie bisher - nur die Freier zu bestrafen. [23]
  6. Wir haben eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es wäre naiv, zu glauben, dass ein Sexkaufverbot nach Nordischem Modell in Deutschland die Zwangsprostitution und den Menschenhandel von Menschen aus anderen Ländern plötzlich beenden würden. Vielmehr würde ein anderes Land, in dem womöglich noch dramatischere Bedingungen vorherrschen, unseren Platz einnehmen. Im Beispiel Schweden zeigt sich, dass sich die Prostitution im Süden des Landes schlicht nach Dänemark verlagert hat [25].
  7. Demokratie in Bewegung versteht sich als progressive - also zukunftsorientierte - Partei. Wir erheben den Anspruch, neue Wege zu denken und nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Daher wäre die Forderung nach der Einführung des Nordischen Modells konträr zu unseren Werten und Prinzipien.
  8. Selbst unter der Prämisse, dass das Nordische Modell in Schweden erfolgreich sei, würde dies nicht automatisch auch für Deutschland funktionieren. Denn eine unkritische und undifferenzierte Übernahme des Nordischen Modells ließe strukturelle gesellschaftliche Unterschiede unberücksichtigt. Für Frankreich etwa, das seit 2016 ebenso den Sexkauf verbietet, zeigt ein qualitative Studie, dass sich (die verbliebenen) Sexarbeiter*innen signifikant stärkeren Repressionen seitens ihrer Kunden und seitens der Polizei ausgesetzt sehen. [27]

Dennoch erfreut sich das Nordische Modell einiger Beliebtheit. Neuseeland ging hingegen den umgekehrten Weg und liberalisierte Sexarbeit mit positiven Effekten: Einerseits konnte kein signifikanter Anstieg der Anzahl der Sexarbeiter*innen verzeichnet werden und andererseits schaffte die Liberalisierung Sicherheit für die Sexarbeiter*innen [18] [19] [22] [24].

Forderung

Grundsätzlich müssen wir zwischen freiwilliger Prostitution und Zwangsprostitution / Menschenhandel differenzieren, denn sie sind zwei völlig unterschiedliche Punkte [13]. Freiwillig Prostituierte werden künftig als Sexarbeiter*innen bezeichnet. Freiwillige Prostitution muss arbeitsrechtlich liberal behandelt und gesellschaftlich entstigmatisiert werden. Dabei ist es unabdingbar, Sexarbeiter*innen nicht zu entmündigen und ihnen ihre Autonomie und Fähigkeit zur Selbstbestimmung nicht abzusprechen [10]. Eine repressive Gesetzeslage, die Sexarbeiter*innen unter dem Vorwand, Zwangsprostitution zu bekämpfen, in ihren Rechten beschränkt, führt erfahrungsgemäß zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation [11].

Im Sinne eines progressiven Umgangs mit Prostitution lassen sich unsere Forderungen auf drei Hauptforderungen zusammenfassen:

  1. Freiwillige Prostitution (Sexarbeit) arbeitsrechtlich liberal handhaben und gesellschaftlich entstigmatisieren. Ziel: Sexarbeit muss gesellschaftlich als normaler Beruf akzeptiert werden. Es muss in Zukunft ohne Scham auf die Frage “Was machst du eigentlich beruflich so?” mit “Ich bin Prostituierte*r / Sexarbeiter*in” geantwortet werden können. Denn dann lassen sich Problemlösungen finden, die auch von Sexarbeiter*innen mitgetragen werden [5].

    • Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz von Sexarbeiter*innen führt. Denkbar sind ähnliche Aufklärungskampagnen wie beim Kampf gegen HIV (etwa durch großflächige Plakate mit einschlägigen Slogans für legale / angemeldete Sexarbeit).
    • Die aktuelle Gesetzeslage ist für bestehende und angehende Sexarbeiter*innen höchst intransparent und unzumutbar und wirkt damit kontraproduktiv. Denn zugleich verbietet §2 ProstG (zurecht) Zuhälterei, schließt aber ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nach §3 nicht aus, d. h. vielen Sexarbeiter*innen ist nicht klar, wie sie als abhängig Beschäftigte der Sexarbeit nachgehen können. Daher geht die Mehrheit der Sexarbeiter*innen einer selbstständigen Tätigkeit nach oder arbeitet gar schwarz (insbesondere sogenannte "Hobbyhuren" wie etwa Student*innen). Auch meldet sich nur ein Bruchteil aller Sexarbeiter*innen gemäß ProstSchG an [6]. Denn es besteht die berechtigte Sorge, intime Details über die Sexualität Behörden preisgeben zu müssen [8], was insbesondere im ländlicheren Raum problematisch ist, wo jede*r jede*n kennt. Auch ist vielen unklar, ob selbstständige Sexarbeiter*innen ein Gewerbe anmelden müssen oder nicht. Die Bundesdrucksache 156/16 erwähnt auf Seite 62, dass Prostitution „kein Beruf wie jeder andere und kein Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung” sei [7]. Außerdem werden die Bestimmungen des ProstSchG nicht bundeseinheitlich umgesetzt. Hierzu bräuchte es eine bundesweit einheitliche Handhabung. Kurz gesagt: Es braucht bundesweit einheitliche Regelungen und barrierefrei zugängliche, leicht verständliche Info-Broschüren für Sexarbeiter*innen über ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten. Die jetzige Anmeldepflicht nach dem ProstSchG ist wieder abzuschaffen, da sich ohnehin nur jene Sexarbeiter*innen offiziell anmelden, die nicht von Zwangsprostitution und Menschenhandel betroffen sind. Diese werden aber dadurch zusätzlich stigmatisiert [14]. Eine Anmeldepflicht ist also zur Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel ist weder erforderlich noch zielführend [10].
    • Um in der eben beschriebenen undurchsichtigen Rechtslage Sexarbeitsinteressierten einen rechtssicheren und vor allem gesundheitlich sicheren Einstieg zu ermöglichen (damit sie eben nicht aus Unwissenheit heraus in unwürdige Situationen gelangen oder Opfer von Zwangsprostitution werden), braucht es auch von Berufsverbänden organisierte Einstiegsberatungen - aber keine gesetzlich erzwungenen, sondern auf freiwilliger Basis mit niedrigschwelligen Hürden [13].
    • Interessensvertretungen (wie Gewerkschaften) von Sexarbeiter*innen müssen gefördert werden. Denn sie können Sexarbeit zur der gesellschaftlichen Anerkennung verhelfen, die jede andere Form der Arbeit auch genießt. Auch können Interessensvertretungen laufende Fortbildungen und Workshops für Sexarbeiter*innen entwickeln und anbieten.
    • Stigmatisierende und diskriminierende Gesetze sind zu liberalisieren. Dazu gehört unter Anderem Art. 297 EGStGB, wonach die Landesregierungen "zum Schutz [...] des öffentlichen Anstandes" ermächtigt wird, Sexarbeit lokal einzuschränken (Sperrgebietsverordnungen). [28] Es ist verständlich, dass ein Bordell nicht direkt neben einem Kindergarten oder einer Schule stehen sollte, doch die pauschale 'Verbannung' von Sexarbeit aus bestimmen Stadtteilen wie bspw. Innenstädten oder gar ganzen Ortschaften bis zu 50.000 Einwohner*innen stellt nicht nur eine erhebliche Stigmatisierung / Diskriminierung von Sexarbeiter*innen dar, sondern zugleich eine erheblichen Einschränkung des Rechtes auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG. [29]
  2. Bessere soziale Absicherungen, damit niemand sich aus finanziellen Nöten prostituieren “muss”. Ziel: Kein Mensch darf sich gezwungen sehen, aus einer finanziellen Notsituation heraus prostituieren zu müssen, um diese finanziellen Engpässe überwinden zu können. Im Folgenden werden Menschen, die sich aufgrund finanzieller Nöte prostituieren Armutsprostituierte genannt.

    • Für Armutsprostituierte müssen Perspektiven geschaffen werden. Es braucht mehr und kompetentere (insbesondere finanziell besser situierte) Beratungsstellen und Programme, die den Betroffenen Auswege aus der Prostitution zeigen und Anknüpfungen an Milieus außerhalb des Prostitutionsgewerbes vermitteln.
    • Die Hürden und Barrieren, die Menschen daran hindern, solche Programme und Beratungsmöglichkeiten aufzusuchen, müssen abgebaut werden. Hier spielt wieder die erste Forderung mit hinein, nämlich die Entstigmatisierung von Sexarbeit. Kein Mensch muss sich dafür schämen, Sexarbeiter*in (gewesen) zu sein.
    • Um Menschen künftig davon abzuhalten, ich aus finanziellen Nöten heraus zu prostituieren, muss der Sozialstaat stärker ausgebaut werden. Hierfür hat DEMOKRATIE IN BEWEGUNG bereits Konzepte entwickelt bzw. entwickelt sie derzeit oder muss sie künftig noch entwickeln. Eine denkbare Idee ist die Einrichtung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
    • Da ein nicht unerheblicher Teil der Armutsprostituierten einen Migrations- oder Fluchthintergrund aufweist, spielt eine menschenwürdige Flucht- und Migrationspolitik auch hier eine wesentliche Rolle. Außerdem ist darauf zu achten, dass entsprechende Beratungsstellen mit den notwendigen Sprachkompetenzen und interkulturellen Kompetenzen (Wissen um Kultur, spezifische Tabus, etc.) ausgestattet werden.
    • Die “Schutzmechanismen der Arbeitswelt (Von Arbeitszeitgesetz bis zum Mindeslohngesetz) [15]” müssen auch für Prostituierte Anwendung finden. Anstatt aber die Betroffenen (in diesem Fall Armutsprostituierte) in die Verantwortung zu ziehen, muss die Nachweispflicht viel stärker bei den Betreibenden von Prostitutionsstätten liegen. Dabei muss der Begriff der Prostitutionsstätte gegebenenfalls ausgeweitet werden (z. B. Stundenzimmer, die sich Sexarbeiter*innen oder Armutsprostituierte anmieten).
  3. Zwangsprostitution vehement bekämpfen Ziel: Kein Mensch darf in die Prostitution gezwungen werden. Menschenhandel muss konsequent verfolgt und bestraft werden. Menschenrechtsbasierte Ansätze zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind erfolgsversprechender als Verbote wie durch das Nordische Modell [25].

    • Die aktuelle rechtliche Situation (insbesondere das ProstSchG) birgt aufgrund sanktionierender Behörden die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Prostituierten und Beratungspersonen nachhaltig zerstört wird [8]. Stattdessen müssen mehr Beratungsmöglichkeiten geschaffen werden, die eine reelle Chance haben, solch ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Denn nur, wenn unfreiwillig Prostituierte ihrem*r Berater*in vertrauen, können Zwangsverhältnisse aufgedeckt werden. Hier sollte ein Paradigmenwechsel erfolgen, ähnlich wie bei der Schaffung des Infektionsschutzgesetzes 2001, d. h. anstelle verpflichtender Beratungen müssen entsprechende Beratungsstellen freiwillige und anonyme Beratungsangebote bereitstellen [9]. Verpflichtende Gespräche (wie jetzt durch das ProstSchG) greifen zudem ins Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein [10].
    • Bestehende Gesetze müssen konsequenter umgesetzt werden. Denn Zwangsprostitution und Menschenhandel sind bereits heute schon illegal. Dazu braucht es mehr Personal bei Ordnungsämtern und Strafverfolgungsbehörden (LKA, BKA). Auch spezielle Schulungen für entsprechende Milieus sind von Nöten. Für solche existiert ein breites Netzwerk an Organisationen und Interessenvertretungen. Diese können zielgerichtet informieren, aufklären und Informationen sammeln sowie weiterführende Beratungsprogramme entwickeln.
    • Zusätzlich muss ein deutlich niedrigschwelligeres und flächendeckendes Beratungsnetzwerk mit bundeseinheitlichen Standards entwickelt und staatlich gefördert werden. [12]
    • Da insbesondere Frauen aus dem Ausland Opfer von Menschenhandel werden, wäre ein vergleichsweise “milderes Mittel zur Bekämpfung des Menschenhandels, für Betroffene ein Aufenthaltsrecht unabhängig von der Aussagebereitschaft in Strafverfahren vorzusehen” [10]. Das heißt, ausländischen (Zwangs-)Prostituierten muss durch entsprechende Änderungen des Ausländergesetzes die Angst genommen werden, in ihre alte Heimat abgeschoben zu werden, wenn sie in Strafverfahren aussagen.

Kosten

Gesetzesänderungen würden keine oder nur geringe Kosten verursachen. Für die Maßnahmen zur effektiven Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel sind viele personelle Ressourcen notwendig. Damit entsteht ein hoher Finanzierungsbedarf, der sich im Rahmen des Abstraktionsgrades dieser Initiative nicht abschätzen lässt. Konkrete Maßnahmen werden in Folge-Initiativen entwickelt und deren Kosten dann entsprechend jeweils geschätzt.

Finanzierungsvorschlag

Die Würde des Menschen ist unantastbar - oder wie es besser heißen sollte: Die Würde aller Menschen ist unantastbar. Daher dürfen die Kosten zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution kein Hindernis darstellen und müssen in die Pläne der betreffenden Haushalte einkalkuliert werden. Für die durch Folge-Initiativen entstehenden Kosten werden entsprechende Finanzierungsvorschläge ausgearbeitet werden.

Arbeitsweise

Da die einzelnen Ausführungen bereits begründet wurden, bleibt nur noch, die Quellen anzugeben:

[1] ProstG: https://www.gesetze-im-internet.de/prostg/BJNR398310001.html

[2] ProstSchG: https://www.gesetze-im-internet.de/prostschg/BJNR237210016.html

[3] ProstAV: https://www.gesetze-im-internet.de/prostav/

[4] Das schwedische Sexkaufverbot – Beanspruchte Erfolge und dokumentierte Effekte, in: Elisbaeth Greif (Hg.), Sex Work(s) verbieten-erlauben-schützen?, Linzer Schriften zur Frauenforschung 51, 2012, S. 67-110

[5] https://magazin.hiv/2018/06/25/sexarbeit-als-beruf/

[6] https://www.sueddeutsche.de/leben/prostitution-sexarbeit-gesetz-1.4336923

[7] Bundesdrucksache 156/16

[8] Stellungnahme Deutsche Aidshilfe zum ProstSchG

Stellungnahme Deutsche Aidshilfe.pdf|attachment (328,0 KB)

[9] Stellungnahme bufas (Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter e.V.) Stellungnahme bufas.pdf|attachment (122,8 KB)

[10] Stellungnahme Deutscher Juristinnenbund Stellungnahme Deutscher Juristinnenbund.pdf|attachment (623,2 KB)

[11] Halley/Kotiswaran/Shamir/Thomas, Harvard Journal of Law & Gender 29, 2006, S. 335-423.

[12] Stellungnahme Diakonie Stellungnahme Diakonie.pdf|attachment (128,0 KB)

[13] Stellungnahme DSTIG Stellungnahme DSTIG.pdf|attachment (493,5 KB)

[14] Stellungnahme Deutsche Frauenrat Stellungnahme Frauenrat.pdf|attachment (291,9 KB)

[15] Stellungnahme ver.di Stellungnahme Verdi.pdf|attachment (132,5 KB)

[16] Kingston, S. & Thomas, T. Crime Law Soc Change (2019) 71: 423. https://doi.org/10.1007/s10611-018-9795-6](https://link.springer.com/article/10.1007/s10611-018-9795-6#citeas)

[17] Holmström, Charlotta & Skilbrei, May-Len. (2017). The Swedish Sex Purchase Act: Where Does it Stand?. Oslo Law Review. 1. 82-104. 10.18261/issn.2387-3299-2017-02-02.](https://www.researchgate.net/publication/319300224TheSwedishSexPurchaseActWhereDoesit_Stand/citation/download)

[18] The Impact of the Prostitution Reform Act on the Health and Safety Practices of Sex Workers – Report to the Prostitution Law Review Committee; Department of Public Health and General Practice, University of Otago, Christchurch, 2007, Abrufbar auf: https://www.otago.ac.nz](https://www.otago.ac.nz/)

[19] Report of the Prostitution Law Review Committee on the Operation of the Prostitution Reform Act 2003; Ministry of Justice, Wellington, New Zealand; Mai 2008

[20] Dolinsek, Sonja: Gegen Menschenhandel – oder nur gegen Sexarbeit?, auf: menschenhandelheute.net (30.11.2017).

[21] Levy, Jay: Criminalising the purchase of Sex. Lessons from Sweden, London 2015.

[22] Le Breton, Maritza: Sexarbeit als transnationale Zone der Prekarität, Wiesbaden 2011.

[23] Levy, Jay; Jakobsson, Pye: Sweden's abolitionist discourse and law. Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden’s sex workers, in: Criminology and Criminal Justice, (14)2014, Nr. 5, S. 593-607.

[24] Open Society Foundations (Hg.): 10 Reasons to Decriminalize Sex Work, New York o.J.

[25] Spitzer, Anna-Lena: Strafbarkeit des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft, Wiesbaden, 2018.

[26] https://www.nzz.ch/gesellschaft/20-jahre-prostitutionsverbot-in-schweden-was-hat-das-gesetz-gebracht-ld.1425003

[27] https://www.opendemocracy.net/en/beyond-trafficking-and-slavery/impact-of-swedish-model-in-france-chronicl/ (Englische Zusammenfassung des französischen Originals: https://www.medecinsdumonde.org/fr/actualites/prostitution/2018/04/12/travail-du-sexe-la-loi-qui-met-en-danger)

[28] EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch) Art 297: https://www.gesetze-im-internet.de/stgbeg/art_297.html

[29] Berufsfreiheit nach Art 12 GG: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_12.html

Argument der Initiator*innen

Die Argumente werden an entsprechenden Textstellen der Initiative bereits ausgeführt.

Es wurde auch folgende Variante eingebracht

Abgelehnt

Nordisches Modells für Prostituton- Umsetzung der Empfehlung der EU von 2014

... zur Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung durch die Umsetzung der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Februar 2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (2013/2103(INI)) die eine Empfehlung zur Einführung des Nordischen Modells für Prostitution beinhaltet. Das nordische Modell dient der Bekämpfung des Menschenhandel und Gewalt gegen überwiegend Frauen und Mädchen zum Zweck der Prostitution durch die Kriminalisierung der entgeltlichen Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen.

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PRO
Initiative als Grundsatzentscheidung auffassen
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PRO
Entstigmatisierung schafft Raum für Sicherheit und Angebote und verhindert Abgleiten ins Verborgene
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KONTRA
Nur Gegeninitiative nicht Eigeninitiative
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KONTRA
Nur weil DiB für die Legalisierung von Drogen ist, stellt dies keinen Automatismus für anderen Themen dar.
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PRO
Prostitution verhindert Vergewaltigungen
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KONTRA
Fordert keine Neuerungen zur aktuellen Gesetzeslage.
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KONTRA
Zeigt nicht auf wie Menschenhandel und Zwangsprostitution bekämpft werden soll.
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KONTRA
Nicht mal ungenaue Angaben oder Aussagen wieviel in die Bekämpfung der Zwangsprostitution investiert werden muss.
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PRO
Viele Aspekte, der Forderungen 2 und 3 sind wichtige Punkte, die auf jeden Fall angegangen werden müssen.
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KONTRA
Beinhaltet nur Lobby-Argumente
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KONTRA
Recht auf eigenen Körper = Recht auf eigenen Körper zu verkaufen?
Wir können nicht "objektiv", da wir Subjekte sind. Mit Betroffenen reden und gemeinsam mit Expert\*innen Maßnahmen entwickeln ist gut.
Satz "Wir können nicht glaubhaft die Legalisierung aller Drogen und gleichzeitig ein Sexkaufverbot fordern." rausnehmen.