Vollständige Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention

Die UN Behindertenrechtskonvention ist seit 2009 ratifiziert. Allerdings mangelt es in Deutschland an der Umsetzung.

Diese Initiative wurde angenommen.

Initiator*innen
cbayerlein
Thomas Fahrenhorst
Chris Eisenbarth
Veröffentlicht am
1. Juli 2017
Bereich
Vielfältige, weltoffene und inklusive Gesellschaft
Einordnung
Einzelinitiative
Ebene
Bund
Ergebnis der Abstimmung

Diese Initiative wurde angenommen.

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94 Personen haben an dieser Abstimmung teilgenommen.

Das waren 24 Prozent aller 384 Abstimmungsberechtigten.

Text der Initiative

Die UN Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen ist ein wichtiges völkerrechtliches Dokument, was die Menschenrechte insofern spezifiziert, dass sie auf die Belange behinderter Menschen bezogen werden. Dieses Übereinkommen ist seit 2009 in der Bundesrepublik Deutschland durch Ratifizierung in Kraft getreten. Allerdings mangelt es erheblich an der Umsetzung. Dies belegt auch unter anderen der Zwischenbericht des Instituts für Menschenrechte, welches als Kontrollorgan die Umsetzung der Konvention kontrollieren soll. Bei der letzten Staatenprüfung durch den Fachausschuss der Vereinten Nationen hat Deutschland extrem schlechte Noten bekommen.

Problembeschreibung

Folgende Beispiele wären zu nennen: Die Bundesrepublik Deutschland ist nach der UN BRK dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum herstellen sollen. De facto gibt es in Deutschland aber keinerlei Verpflichtung der privaten Anbieter von Dienstleistungen für Barrierefreiheit zu sorgen. So gibt es immer noch überwiegend Gaststätten, Kinos etc., in die Rollstuhlfahrer nicht gelangen können, oder andere Dienstleistungen, die z. B. blinde und/oder Menschen mit anderen Einschränkungen nicht nutzen können. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach der UN BRK dazu verpflichtet, dass Schüler inklusiven Schulunterricht genießen können. Das heißt behinderte und nichtbehinderte Menschen müssen gemeinsam in einer Regelschule beschult werden. In der Realität werden aber Förderschulen sogar ausgebaut und den Regelschulen fehlen sowohl Know-how als auch die finanziellen Ressourcen, um Schüler angemessen inklusiv unterrichten zu können. Dies zementiert ein System der Separation mit Sonderwelten für behinderte Menschen. Ähnlich sieht es auch mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt aus: nach der UN BRK ist Deutschland dazu verpflichtet, behinderten Menschen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu gewähren. In Wahrheit werden die Mehrheit behinderter Menschen immer noch in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfBs) gedrängt, ohne dass sie eine Aussicht auf eine Anstellung auf dem 1. Arbeitsmarkt erlangen. Art. 19 der UN BRK verpflichtet Deutschland dazu, dafür zu sorgen, dass behinderte Menschen in der Gemeinde leben können. Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung der UN BRK hat sich der Staat verpflichtet Maßnahmen dafür zu treffen, dass entsprechende Dienstleistungsangebote, wie zum Beispiel persönliche Assistenz, und ausreichend barrierefreier Wohnraum verfügbar gemacht werden. In Deutschland gibt es aber noch eine große Zahl an Menschen, denen Assistenz etc. vorenthalten werden. Auch im neuesten Bundesteilhabegesetz wird das im Art. 19 der UN BRK verbriefte Wunsch und Wahlrecht eingeschränkt und behinderte Menschen sind dazu gezwungen, die für den Leistungsträger günstigste Angebotsform zu wählen. Dies führt dazu, dass viele behinderte Menschen gegen ihren Willen im Heim untergebracht werden. Aber auch wer Assistenz erhält und so selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben kann, muss sich erheblich mit Einkommen und eigenem Vermögen an den Kosten beteiligen. Auch das Einkommen und das Vermögen der Partner und Angehörigen werden zum Beispiel bei Leistungen aus dem Topf „Hilfe zur Pflege“ mit herangezogen. Behinderung wird so für die die Betroffenen selbst, deren Angehörigen und Lebenspartner zu einem erheblichen Armutsrisiko. Die Berechnungsgrundlagen und die Höhe der Eigenbeteiligungen wurde zwar mit dem Bundesteilhabegesetz verändert, aber die neuen Grenzen sind immer noch stark diskriminierend und bedeuten eine Einschränkung in der freien Entfaltung. So reichen die “erlaubten” 25.000 € Vermögen bei Bezug von Eingliederungshilfe (ab 2020 50.000 €) nicht, um einen angemessenen Altersunterhalt zu sichern und vorzusorgen. Größere Investitionen, zum Beispiel in Selbstständigkeit in einem kleinen Unternehmen oder ein Eigenheim sind damit ebenfalls nicht zu gewährleisten. Weiter zu nennen wären unter anderem der Zugang zu medizinischer Versorgung, die Berücksichtigung der besonderen Belange behinderter Frauen, das Recht auf Familie etc.

Dies sind, wie gesagt, nur Beispiele. Die Vorschriften der UN BRK sind sehr umfangreich und Deutschland erfüllt seine Pflichten der Umsetzung nicht.

Forderung

Wir fordern die vollständige, umfassende Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention in ihrem Wortlaut, aber auch in ihrer Intention. Bei Fragen der Auslegung müssen die Behindertenverbände und das Monitoring-Institut “das letzte Wort haben”, also ein Vetorecht besitzen.

Insbesondere fordern wir effektive Maßnahmen zur Herstellung umfassender Barrierefreiheit. Dazu gehört auch eine angemessene Verpflichtung des privaten Sektors, Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. Vorbild dafür sind das US-Amerikanische Antidiskriminierungsgesetz (ADA) und der Equality Act in Großbritannien.

Außerdem fordern wir echte schulische und elementarpädagogische Inklusion, also ausnahmslos die Beschulung und Betreuung von behinderten und nichtbehinderten Kindern bereits ab der Kinderkrippe bis zum jeweiligen höchsten Abschluss und darüber hinaus im Bereich der Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens. Dazu gehört natürlich auch eine gute Ausstattung und finanzielle Förderung der Schulen und Kitas und eine umfassende Ausbildung der Lehrer*innen und pädagogischen Fachkräfte.

Wir fordern die Abschaffung der Sonderwelten für behinderte Menschen, insbesondere ein Ausstieg aus dem System der Förderschulen, Verwahranstalten und Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Für ein selbstbestimmtes Leben mitten in der Gemeinde fordern wir eine grundlegende Überarbeitung des Bundesteilhabegesetzes und die vollständige Herauslösung der Teilhabeleistungen aus dem Sozialhilferecht. Das Wunsch- und Wahlrecht muss ohne Abstriche gewährleistet werden, damit jeder Mensch möglichst selbstbestimmt leben kann und insbesondere seine Wohnform frei wählen und nach seinem Bedarf mobil sein kann, um die volle und wirksame Teilhabe an allen Aspekten des gemeinschaftlichen Lebens gleichberechtigt mit anderen zu realisieren. Die Gewährung von Hilfeleistungen zur Teilhabe, wie zum Beispiel Assistenz, muss unabhängig von Einkommen und Vermögen gegeben sein. Diese Leistungen müssen bedarfsdeckend und wirklich an der Lebenssituation des behinderten Menschen ausgerichtet sein und dazu dienen, die Selbstbestimmung zu fördern. Des weiteren auch die personelle und technische Ausstattung von Pflegeheimen so an zu passen, daß es den Bewohnern ermöglicht wird, ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, solange behinderte Menschen dort noch untergebracht sind. Begrifflichkeiten wie „zumutbar“, „nach Ermessen“ und ähnliche Werkzeuge für Leistungsträger sind ersatzlos aus dem Bundesteilhabegesetz zu streichen.

Die Bedarfsfeststellung muss den Kostenträgern aus der Hand genommen werden. Hierfür schlagen wir vor unabhängige Beratungsstellen einzurichten und damit zu betrauen.

Kosten

Da es sich um ein sehr komplexes Thema mit verschiedenen Facetten und Instrumenten handelt, ist eine Kostenabschätzung sehr schwierig. Allerdings sprechen wir an dieser Stelle von Menschenrechten, die ohnehin nicht unter Kostenvorbehalt gestellt werden dürfen. Schätzungsweise dürften die Kosten aber durch eine geschickte neue Ausrichtung der Behindertenpolitik nicht deutlich wachsen, denn auch jetzt “verschwindet” sehr viel Geld im System der Sondereinrichtungen. Dort, wo mehr kosten verursacht werden (zum Beispiel bei einer ambulanten Assistenz statt eines Heimplatzes) wird die Qualität der Leistung aber ebenfalls überproportional steigen, so dass dort sogar von einer besseren Kosten/Nutzen-Effizienz geredet werden muss. Außerdem sind durch volkswirtschaftliche Effekte beim Ausbau ambulanter Assistenz mit einer erheblichen Anzahl von neuen Arbeitsplätzen zu rechnen, was ein guter Baustein zur Förderung eines nachhaltigen Wachstums sein kann. Des Weiteren fließt ein Großteil der Mittel für persönliche Assistenz als Steuern und Sozialabgaben wieder zurück an den Staat. Bei der schulischen Inklusion ist zwar klar, dass höhere Kosten entstehen werden, aber dies kommt unterm Strich allen Schülern zugute und momentan ist das deutsche Schulsystem ohnehin unterfinanziert und reformbedürftig. Die Herstellung von Barrierefreiheit würde den privaten Sektor natürlich Geld kosten, aber durch eine klare Richtlinie wäre die Vergleichbarkeit im Wettbewerb ebenfalls verbessert und so hätten auch kleine Unternehmen wiederum Vorteile, sich zu behaupten. Außerdem würden die Unternehmen nur in angemessenem Maße dazu verpflichtet, in Barrierefreiheit zu investieren, kleine Unternehmen hätten also mit weniger Kosten zurechnen als große. Insgesamt kann auch dies als Wirtschaftsförderung begriffen werden, denn zur Herstellung von Barrierefreiheit werden wiederum Dienstleistungen und Produkte benötigt, was gegebenenfalls zu mehr Arbeitsplätzen und Wachstum führen wird. Von Maßnahmen zur Barrierefreiheit profitieren außerdem nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch zahlreiche ältere Menschen und z. B. Eltern mit Kinderwagen.

Finanzierungsvorschlag

Je nach Baustein der Umsetzung sollten verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung geprüft werden. Größtenteils sollten Mehrkosten aber über Steuern gedeckt werden, falls diese entstehen. Diese Deckung sollte weitgehend auf Bundesebene erfolgen, um einheitliche Bedingungen der Leistungsgewährung zu ermöglichen. Kosten für den privaten Sektor zur Herstellung von Barrierefreiheit können durch moderate Preisanpassungen am Markt refinanziert werden.

Arbeitsweise

Diese Initiative geht aus einem Thread im Marktplatz hervor. Das Thema wurde mit betroffenen Menschen diskutiert und die Expertise von Behindertenverbänden eingeholt. Außerdem beziehen sich die Initiatoren auf Stellungnahmen von Behindertenverbänden und Organisationen, sowie der Monitoringstelle des Instituts für Menschenrechte.

Argument der Initiator*innen

Als Partei, die sich explizit der Vielfalt und gegen die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen ausspricht, sollte es selbstverständlich sein, dass die Rechte behinderter Menschen als Menschenrecht wahrgenommen werden und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, um diese Konvention umzusetzen. Des Weiteren erfüllt die Bundesrepublik Deutschland ganz klar momentan ihre Verpflichtungen aus der Konvention nicht und bricht damit geltendes Völkerrecht. Diesen Zustand müssen wir dringend beheben.

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PRO
Die Politik für Randgruppen geht oft im deutschen Mainstream unter
Es wurden keine Vorschläge eingebracht.