Zivilgesellschaft ist gemeinnützig

DEMOKRATIE IN BEWEGUNG unterstützt die Rolle und die Gemeinnützigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zur politischen Willensbildung und teilt daher die Forderungen der "Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung".

Diese Initiative wurde angenommen.

Initiator*innen
Renaldo Tiebel
Werner Hörzer
miri
Veröffentlicht am
30. August 2022
Bereich
Demokratie & Transparenz
Einordnung
Einzelinitiative
Ebene
Bund
Ergebnis der Abstimmung

Diese Initiative wurde angenommen.

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38 Personen haben an dieser Abstimmung teilgenommen.

Das waren 3 Prozent aller 1187 Abstimmungsberechtigten.

Die Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” ist ein Zusammenschluss von Organisationen und fordert, die Gemeinnützigkeit für Organisationen der Zivilgesellschaft zu sichern, die Beiträge zur politischen Willensbildung leisten. Derzeit gehören fast 200 Vereine und Stiftungen der Allianz an. Die Allianz besteht seit Juli 2015 – seitdem hat sich ihre Aufgabe stetig angepasst.

Demokratie in Bewegung unterstützt alle Forderungen der "Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung" zur Änderung der Rechtslage des Gemeinnützigkeitsrechts.

Problembeschreibung

Die "Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung" hat das Problem gut beschrieben und wir geben sie im Folgenden wider:

1. Gemeinnützigkeit auf Abruf

Aufgrund der mehrdeutigen Rechtslage haben die Finanzämter einen großen Interpretationsspielraum (nachgewiesen unter anderem in unserer Finanzamts-Studie). Für die Organisationen ist nicht vorhersehbar, ob und wann ihre politischen Aktivitäten ihren Status der Gemeinnützigkeit gefährden. Sie sind von den in der Praxis sehr unterschiedlichen Auslegungen ihres lokalen Finanzamtes abhängig.

Diese Unsicherheit wird noch verstärkt, da die Bescheide nur „unter dem Vorbehalt der Nachprüfung“ ergehen. Ändert sich die Einschätzung im Finanzamt, kann die Gemeinnützigkeit mit Wirkung für die letzten zehn Jahre entzogen werden. Es drohen die Nachversteuerung der Einnahmen und die Spendenhaftung – und damit Nachzahlungen, die ein Vielfaches des Jahresbudgets der jeweiligen Organisation betragen können.

Derzeit prominentes Beispiel: Das Finanzamt Frankfurt erkennt Attac im April 2014 die Gemeinnützigkeit ab. Attac legt dagegen Einspruch ein, klagt, gewinnt erst vor dem Finanzgericht; das Urteil wird vom Bundesfinanzhof Anfang 2019 aufgehoben. Attac befindet sich nun im siebten Jahr ohne Gemeinnützigkeit.

Viele Organisationen möchten nicht, dass ihre Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit öffentlich wird, da sie um das Vertrauen von Unterstützern fürchten und den Streit mit dem Finanzamt nicht eskalieren möchten. Solche Beispiele haben wir typisiert dargestellt. Seit dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs machen mehr Vereine ihre Fälle öffentlich.

2. Politische Willensbildung ist von allgemeinem Nutzen

Es gibt eine breite gesellschaftliche und parteipolitische Übereinstimmung, dass die Zivilgesellschaft unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens ist. Konsens ist eben­falls, dass politisch aktive Organisationen für die Gesellschaft unverzichtbare Funktio­nen übernehmen: Sie sind Anwalt für gesellschaft­liche Themen, sorgen für deren brei­te Erörterung in Medien und Gesellschaft. Sie dienen so der politischen Willensbildung. Sie decken Missstände auf. Sie bieten Dienstleistungen an, organisieren Selbsthilfe und Solidarität und sie treten als Mitt­ler auf zwischen Bürgerinnen/Bürgern und Politikerinnen/Politikern.

(Siehe auch “Charta für Zivilgesellschaft und Demokratie“!)

Bedürftigen zu helfen ist genauso nützlich, wie sich für bessere Bedingungen Bedürftiger einzusetzen. Es ist ebenso richtig, Bäume zu pflanzen, wie Abholzungen in Frage zu stellen. Kinder werden so selbstverständlich zum Frieden erzogen, wie die Sinnhaf­tigkeit militärischer Einsätze hinterfragt werden muss. An vielen Stellen zeigt sich, dass diese Debatten erwünscht sind: Zivilgesellschaftliche Organisationen werden vom Staat aufgefordert, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen, etwa durch Einladungen von Umweltverbänden ins Umweltministerium oder bei runden Tischen vor Ort von Parteien, Stadtverwaltung und Organisationen.

Immer, wenn dieses politische Engagement selbstlos die Allgemeinheit fördert, muss sich das auch in der steuerlichen Behandlung niederschlagen.

3. Zivilgesellschaft ist Teil einer demokratischen Gesellschaft

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Steuerbefreiung für gemeinnützige Organisationen eingeführt wurde, bezog sich Gemeinnützigkeit vor allem auf die Wohlfahrtspflege. Politik wurde ausschließlich als Sache der Par­teien und der gesellschaftlichen Eliten angesehen. Die Gesellschaft ist heute eine ganz andere: Sie ist demokratischer geworden. An der politischen Willensbildung wirken neben den Parteien ebenso Organisa­tionen der Zivilgesellschaft mit und bringen zusätzliche Perspektiven ein. Dieser Entwicklung trägt das geltende Recht nicht ausreichend Rech­nung.

Insbesondere der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO), ausschließlich von der Regierung ohne Mitwirkung des Parlaments erlassen, genügt den Anforderungen an ein demokratisch ausgerichtetes Gemeinnützigkeitsrecht nicht. Das zeigt sich beispielhaft, wenn dort in Nr. 15 zu § 52 AO bestimmt wird, dass nur „im Einzelfall“ politische Tä­tigkeit möglich sein soll und diese „weit in den Hintergrund“ der gemeinnützigen Tä­tigkeit treten muss.

Dabei lassen sich viele gemeinnützige Zwecke nur umfassend und effektiv durch die Beeinflussung der politischen Willensbildung erreichen. Da es hier auch um die Verwirklichung von Grundrechten wie Meinungsfreiheit (Art. 5), Versamm­lungsfreiheit (Art. 8), Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2) geht, för­dert diese Arbeit fraglos die Allgemeinheit. Gemeinnützige Organisationen fördern die Demokratie, wenn sie Menschen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte unterstützen.

Eine gemeinnützige Organisation, die solche Zwecke verfolgt, kann Politik nicht nur nebenbei betreiben. Sie ist politisch und darf es sein, solange ihre Mittel und Ziele mit den Grundsätzen eines demokratischen Staatswesens, mit Respekt vor anderen Auffassungen, mit Gewaltfreiheit und mit dem Grundgesetz vereinbar sind und sie nicht Politik im Interesse nur einer politischen Partei macht.

Es braucht ein Gemeinnützigkeitsrecht, das der modernen Zivilgesellschaft und ihrer gesellschaftlichen und politischen Rolle Rechnung trägt.

4. Ein modernes Recht auf Gemeinnützigkeit

Wer der Allgemeinheit selbstlos dient, handelt gemeinnützig. Diese Kernaussage soll weiter im Mittelpunkt stehen. Es wird immer eine Debatte darum geben, welches konkrete Handeln der Allgemeinheit dient, auch weil sich die Gesellschaft entwickelt und neue Vorstellungen davon entstehen, was für das Zusammenleben wichtig ist.

Um Zivilgesellschaft in ihrer Breite abzubilden, sollten in einem neuen Gemeinnützigkeitsrecht die Funktionen von Zivilgesellschaft ausdrücklich anerkannt werden: Dienst­leistung, Themenanwaltschaft, Wächter, Selbsthilfe, Mittler, Solidaritätsstiftung und politische Erörterung.

Dabei darf der gesellschaftliche Nutzen nicht durch die Auflistung von sich wandelnden Themen beschrieben werden, sondern sollte darüber definiert werden, welche Entwicklung in einer Gesellschaft befördert werden soll, wie z.B. die nach Integration und Inklusi­on, nach Partizipation und Empowerment sowie nach sozialem Zusammenhalt und Subsidiarität.

Formale Kriterien würden dem Anspruch auf Gemeinnützigkeit vorausgehen: Selbstverständlich ist wie bisher Verfassungs- und Gesetzeskonformität von Satzung und Tätigkeit notwendig. Auch das bestehende Verbot, Überschüsse an Mitglieder oder Ei­gentümer zu verteilen, bliebe bestehen. Hinzu kämen Regeln für eine öffentliche Rechenschaftslegung. Die Gemeinnützigkeit sollte in einem öffentlichen Register geführt werden, etwa als Ergänzung zum Vereinseintrag. Diese Regeln dienen der Kontrolle durch eine demokratische Öffentlichkeit.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sollen einen Anspruch auf Freistellung von Ertrags- und Vermögenssteuern haben. Diese Prüfung muss an zivilgesellschaftlichen statt steuerlichen Gesichts­punkten orientiert sein und bundeseinheitlich erfolgen.

Forderung

Die zu unterstützenden Forderungen der "Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung", Stand Juli 2022:

1. Ergänzung der Liste gemeinnütziger Zwecke

Wer sich für die Förderung der Menschen- und Grundrechte (inklusive Diskriminierungsschutz, Gleichstellung aller Geschlechter, Engagement gegen Rassismus), des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der informationellen Selbstbestimmung ein­setzt, sucht in der Abgabenordnung vergeblich nach gemeinnützigen Zwecken. Auch die zuständigen Personen im Finanzamt suchen vergeblich. Der Zweck der politischen Bildung kommt seit dem Attac-Urteil dafür nicht mehr in Frage. Daher müssen in § 52 Absatz 2 der Abgabenordnung passende Zwecke ergänzt oder präzisiert werden.

Zusätzlich sollte in Absatz 1 zur Klarstellung aufgenommen werden, dass gemeinnüt­zig auch ist, was die Allgemeinheit auf demokratischem Gebiet fördert (neben materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet).

Mindestens müsste im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) verbindlich aufgenommen werden, welchen gesetzlichen Zwecken die oben genannten Anliegen zuzuordnen sind. Der Bundestag muss den Zweckkatalog regelmäßig überprüfen und ergänzen.

2. Klarstellung, dass die Beteiligung an der politischen Willensbildung unschädlich für die Gemeinnützigkeit ist

Obwohl das Gesetz kein Verbot poli­tischer Mittel vorsieht, herrscht große Unklarheit, was erlaubt ist – sowohl bei Finanzämtern als auch bei Vereinen und Stiftungen. Daher ist eine gesetzliche Klarstellung nötig, dass zur Zweckverfolgung auch die überwiegende oder ausschließliche Einwirkung auf die politische Willensbildung, die öffentliche Meinung, politische Parteien und staatliche Entscheidungen gehören. Ein gesetzgeberischer Impuls hätte Auswirkungen auf Verwaltungspraxis, Anwendungserlass und Rechtsprechung. Wir schlagen dazu einen neuen Absatz in in § 51 oder § 52 der AO vor.

Auch für politische Mittel gelten die Grenzen der allgemeinen Gesetze. Zu den zu­lässigen politi­schen Mitteln zur Zweckverfolgung dürfte nicht der Ver­such gehören, selbst an politische Macht zu gelangen, etwa durch Wahlen. Politische Mittel zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke sind kein (allgemein)politisches Mandat.

3. Demokratieklausel für Tätigkeit über eigenen Zweck hinaus

Wenn ein Sportverein zu einer Gedenkveranstaltung an­lässlich antisemitischer Anschläge aufruft, muss das eindeutig mit der Gemeinnützigkeit vereinbar sein. Dazu braucht es eine gesetzliche Klarstellung, dass sich gemeinnützige Organisationen bei Gelegenheit (also aus aktuellem Anlass) über den eigenen Zweck hinaus mindestens für andere gemeinnützige Zwecke enga­gieren können. Dies könnte als weitere Ausnahme vom Ausschließlichkeits-Prinzip in § 58 AO stehen.

4. Befreiung der Förderung des demokratischen Staatswesens

Die 1983 als damals dritter gemeinnütziger Zweck eingefügte Förderung des demokratischen Staatswesens enthält unnötige Beschränkungen. Dadurch darf sich ein gemeinnütziger Verein nicht mit den Beteiligungsverfahren auf kommunaler Ebene beschäftigen, nicht mit demokratischen Verfahren der EU. Ebenfalls ist ausgeschlossen, eine Demokratie-Initiative in Tunesien zu unterstützen. Im § 52 Absatz 2 bei Zweck 24, Förderung des demokratischen Staatswesens, müs­sen diese Einschränkungen gestrichen werden:

  • Verbot, kommunalpolitische Ziele zu verfol­gen
  • Zusatz „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“

5. Keine Beweislastumkehr

Eine Organisation, die gegen Menschenrechte und Demokratie agitiert, in der zu Gewalt aufgerufen wird oder die mit ihren Tätigkeiten die Menschenwürde verletzt, kann nicht gemeinnützig sein. Wenn das passiert, muss die Exekutive dies beweisen. So ist es auch in Strafverfahren oder bei einem Vereinsverbot. Doch die Verfahrensregel in § 51 Abs. 3 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) kehrt die Beweislast um: “Bei Körperschaften, die im Verfassungs­schutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszu­gehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.”

Diese Beweislastumkehr muss gestrichen werden. Die materielle Regelung in Satz 1 kann erhalten bleiben.

6. Bessere Förderung von Auslandstätigkeit

Zu streichen ist die Beschränkung in § 51, Absatz 2, dass eine Tätigkeit im Ausland nur dann gemeinnützig ist, wenn die geförderten Personen ihren Wohnsitz in Deutsch­land haben oder wenn damit zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Aus­land bei­getragen wird. Dies schafft unnötige bürokratische Hürden für Vereine und Stiftungen, die ihre Zwecke auch im Ausland erfüllen, etwa für einen Verein, der in Rumänien Hunde rettet oder im Irak Sport fördert.

Im Anwendungserlass (AEAO) ist dieser so genannte “strukturelle Inlandsbezug” bereits aufgehoben. Dies muss gesetzlich abgesichert werden.

Kosten

Durch die Wiederanerkennung der Gemeinnützigkeit für einige Vereine werden diese dann natürlich wieder begünstigt.

Durch diese Änderungen entstehen nur Mindereinnahmen, aber keine Kosten.

Finanzierungsvorschlag

Es muss nichts finanziert werden.

Arbeitsweise

Besprochen wurde die Vorgehensweise im Themenkreis Soziale Demokratie und Transparenz. Dort fiel der Entschluss die Forderungen der Allianz Rechtsicherheit für politische Willensbildung zu unterstützen, da diese sich schon ausführlich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.

Quelle: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/

Empfehlenswert auf dieser Seite sind andere begleitende Informationen und Links zur weiteren Willensbildung, sowie Formulierungshilfen für die Umsetzung der einzelnen Forderungen.

Argument der Initiator*innen

Die Argumente und Forderungen der Allianz haben uns überzeugend dargelegt, dass eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts für eine lebendige und aktive politische Zivilgesellschaft erforderlich ist.

Es ist wichtig, dass gemeinnützige Vereine und Organisationen politisch handeln dürfen, um Probleme und Mißstände mit Aktionen (Demonstrationen und Petitionen usw.) in die öffentliche Diskussion zu bringen. Sie werden öfter mit den Problemen konfrontiert als Parteien.

Diese Debatte enthält keine Argumente.
Es wurden keine Vorschläge eingebracht.