Bildungsinitiative Sachsen

Die hier vorgeschlagene Initiative soll den Hochschulstandort Sachsen im Allgemeinen und den Hochschulstandort Chemnitz im Speziellen stärken. Besonderer Fokus liegt dabei auf der Stärkung der demokratischen Konstitution sächsischer Hochschulen durch entsprechende Änderungen im sogenannten "sächsischen Hochschulfreiheitsgesetz".

Diese Initiative wurde angenommen.

Initiator*innen
Alina Obst
Susanna Kunzmann
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Veröffentlicht am
2. April 2019
Bereich
Bildung, Forschung & Kultur
Einordnung
Einzelinitiative
Ebene
Sachsen
Ergebnis der Abstimmung

Diese Initiative wurde angenommen.

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60 Personen haben an dieser Abstimmung teilgenommen.

Das waren 5 Prozent aller 1272 Abstimmungsberechtigten.

In dieser Initiative werden zahlreiche Forderungen für Änderungen im sächsischen Hochschulfreiheitsgesetz formuliert, die - grob zusammen gefasst - die Leitungen (also Rektor*innen und Dekan*innen) in ihren zu weit gehenden Befugnissen beschneiden und stattdessen die demokratischen Gremien (bspw. Senate und Fakultätsräte) stärken sollen. Zudem sollen Gleichstellungsbeauftragte mehr Kompetenzen zugewiesen bekommen. Auch einige Reformvorschläge auf studentischer Ebene werden gefordert.

Der zweite Programmpunkt dieser Initiative fordert unter anderem die Abschaffung der Studierendenzahlbegrenzung und die Wiedereinführung des Lehramtes für die Sekundarstufe 2 an der TU Chemnitz.

Problembeschreibung

Bildung ist das Fundament eines zukunftsfähigen Staates, sei es in wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Hinsicht.

Im Bildungsmonitor von 2018 schneidet das sächsische Schulsystem im Gesamtranking auf Platz 1 ab. Auch im Handlungsfeld “Hochschule/MINT” belegt Sachsen mit dem zweiten Platz ein sehr gutes Ergebnis [1]. Um auch in Zukunft den Bildungsstandort Sachsen zu stärken, bedarf es einer zukunftsorientierten Bildungspolitik.

Die hier vorliegende Initiative thematisiert zwei Schwerpunkte. Im ersten Punkt werden die fatalen Auswirkungen eines Bildungsgesetzes auf landespolitischer Ebene diskutiert sowie mögliche Reformvorschläge angebracht. Die direkten Konsequenzen dieses Gesetzes werden im zweiten Punkt der Initiative exemplarisch am konkreten Beispiel der Technischen Universität Chemnitz verdeutlicht, wobei wir auch hier Lösungsvorschläge diskutieren.

  1. Im Jahre 2013 trat das sogenannte “sächsische Hochschulfreiheitsgesetz” (SächsHSFG) in Kraft, das weitreichende Änderungen in der Selbstbestimmtheit der sächsischen Hochschulen und deren demokratischer Konstitution zur Folge hatte [2]. Dieses Gesetz wurde dazumal unter vehementer Kritik studentischer Vertretungen verabschiedet [5] [6].

  2. Die Stadt Chemnitz gilt als das Tor zum Erzgebirge, denn sie ist wichtiger Wirtschaft- und Bildungsstandort der Region. Eine zentrale Rolle nimmt folglich die Technische Universität Chemnitz ein, deren “Bedeutung [...] für die Stadt schwerlich überschätzt werden” könne [3, Seite 15]. Doch seit Jahren wird die TU Chemnitz seitens der sächsischen Landesregierung eher stiefmütterlich behandelt (s. bspw. [4]).

Forderung

Wir fordern daher einerseits eine Novellierung des SächsHSFG sowie andererseits eine signifikante Stärkung der TU Chemnitz. Genauer fordern wir:

  1. Die Novellierung des SächsHSFG soll die demokratischen Strukturen der Hochschulen stärken. Dazu gehören unter anderem Fachschaftsräte, Studierendenräte, Fakultätsräte und Senate. Im Gegenzug muss eine Entmachtung der Leitungen (Dekan*innen und Rektor*innen) sowie der grösstenteils hochschulextern besetzten Gremien (insbesondere Hochschulräte) erfolgen [7] [8]. Die Mitsprache der Gleichstellungsbeauftragten (etwa bei Berufungsverfahren) ist besonders auszubauen. Gemäss §10 Absatz 2 schliesst das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) Zielvereinbarungen mit den Hochschulen ab, die diese in ihrer Freiheit deutlich einschränken können (etwa in der Höhe der Studierendenzahlen). Bei Nichterfüllen dieser Zielvereinbarungen kann das SMWK Sanktionen gegen Hochschulen verhängen. Es soll §10 in einer Weise reformiert werden, sodass die Freiheit von Lehre, Studium und Forschung in Zukunft stärker gewahrt und weniger von der sächsischen Landesregierung beeinflusst wird, als dies derzeit der Fall ist. Zudem bedarf es einiger Reformen im Studienablauf. Der durch das SächsHSFG ermöglichte Austritt der Studierenden aus der verfassten Studierendenschaft ist rückgängig zu machen. Wer an einer sächsischen Hochschule studiert, soll auch Teil der entsprechenden verfassten Studierendenschaft sein müssen [8]. Gemäß SächsHSFG sind Hochschulen ermächtigt, Studiengebühren zu erheben, wenn die Regelstudienzeit mit mehr als vier Semestern überschritten wurde, Studierende aus Nicht-EU-Staaten stammen oder sich in einem Zweit- bzw. Aufbaustudium befinden. Wir fordern die Abschaffung dieser Gebühren. Darüber hinaus gibt es zahlreiche kleinere Änderungen im SächsHSFG, die im Sinne der Studierenden durch eine entsprechende Kommission ausgearbeitet werden müssen (bspw. die Wiedereinführung der Freiversuche). Die konkreten Formulierungen entsprechender Änderungen sind in Absprache mit Jurist*innen oder zumindest der Rechtssprache kundigen Personen auszuarbeiten.

  2. Zur Stärkung des Bildungsstandortes Chemnitz und damit ganz Südostsachsens bedarf es mindestens zweier zentraler Forderungen: Erstens ist die durch Zielvereinbarungen zwischen dem SMWK und der Hochschulleitung der TU Chemnitz zustande gekommene Studierendenzahlbegrenzung von 11.000 Studierenden aufzuheben (bis 2025 soll die Zahl der Studierenden sogar noch weiter sinken bis auf 9.400 [11]. Zweitens muss ein Ausbau der TU Chemnitz stattfinden, darunter insbesondere die Wiedereinführung des Lehramtes für die Sekundarstufe 2.

Kosten

Die Änderung des SächsHSFG sollte nur minimale Kosten durch juristische Prüfungen induzieren. Auch die in Punkt 2 geforderte Aufhebung der Studierendenzahlbegrenzung führt nicht notwendigerweise zu höheren Kosten, da hiermit lediglich Studiengänge stärker immatrikuliert und vorhandene Lehrkapazitäten stärker ausgelastet werden. Die Wiedereinführung des Lehramtes für die Sekundarstufe 2 wird unter Umständen einige Kosten verursachen, die sich aber im überschaubaren Rahmen belaufen dürften, da viele vorhandene Ressourcen bereits zur Verfügung stehen (bspw. existieren viele der für die Fachausbildung notwendigen Lehrkräfte und Lehrveranstaltungen bereits - auch hier würde lediglich die Auslastung steigen).

Finanzierungsvorschlag

Gegebenenfalls anfallende Kosten müssen schlicht in den Bildungsetat des Landes Sachsen aufgenommen und entsprechend im Haushaltsplan berücksichtigt werden.

Arbeitsweise

  1. Bildungsmonitor 2018: https://www.insm-bildungsmonitor.de/
  2. Sächsisches Hochschulfreiheitsgesetz (SächsHSFG): https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift_gesamt/10562/37992.html
  3. City Lab Chemnitz vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation: https://www.chemnitz.de/chemnitz/media/unsere-stadt/chemnitz-strategie/citylabanalyse_chemnitz.pdf
  4. https://www.freiepresse.de/chemnitz/warum-es-an-der-uni-deutlich-weniger-studienanfaenger-gibt-artikel9861485
  5. Stellungnahme des Studentinnenrates der TU Chemnitz: https://www.stura.tu-chemnitz.de/sites/default/files/transparent120702.pdf
  6. Stellungnahme des Studentenrates der TU Dresden: https://www.stura.tu-dresden.de/webfm_send/82
  7. Positionen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zum SächsHSFG: http://www.wissenschaft-gew-sachsen.de/sites/default/files/u4/bvv09_beschlu2.pdf
  8. Rede von MdL René Jalaß in der 81. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages am 7.11.2018: https://www.linksfraktionsachsen.de/nc/reden/redendetail/news/gesetz-zur-reform-des-saechsischen-hochschulfreiheitsgesetzes/
  9. Artikel der “Freie Presse” vom 20.03.2017 https://www.freiepresse.de/chemnitz/warum-es-an-der-uni-deutlich-weniger-studienanfaenger-gibt-artikel9861485
  10. Zielvereinbarungen zwischen der TU Chemnitz und demSMWK für die Jahre 2017 bis 2020: https://www.tu-chemnitz.de/rektorat/dokumente/Zielvereinbarung2017-20_TUC.pdf
  11. Offener Brief des Rektors der TU Chemnitz GerdStrohmeier zu den Zielvereinbarungen des SMWK: https://www.tu-chemnitz.de/tu/pressestelle/aktuell/7755

Argument der Initiator*innen

Die Argumentation ist aufgrund der vielfältigen Forderungen sehr differenziert auszuführen:

(1) Argumente zur Novellierung des SächsHSFG

(a) Das SächsHSFG hat die demokratisch gewählten Gremien einer Hochschule (unter anderem Fakultätsräte und Senat) de facto entmachtet und lässt ihnen nur noch beratende Funktionen zukommen. Die operativen Aufgaben wurden den Dekan*innen und Rektor*innen der Hochschulen übertragen [6] [2, §81]. Des Weiteren wurden die Gremien des Konzils und des Kuratoriums gemäss $114 SächsHSFG aufgelöst. Stattdessen wurden Hochschulräte installiert, in deren Zuständigkeiten wesentliche Aufgabe fallen, mit denen zuvor die Senate betraut waren [6, §86 Absatz 1]. Das Problem dieser Hochschulräte besteht auch darin, dass diese zu weiten Teilen universitätsextern besetzt sind und die Senate weniger als die Hälfte der Hochschulratsmitglieder benennen. Die übrigen Mitglieder eines jeden Hochschulrates werden durch das SMWK benannt [6, §86 Absatz 2], womit die Unabhängigkeit der Lehre und Forschung vom politischen Tagesgeschäft untergraben wird. Weiter kommt nach §83 Absatz 3 SächsHSFG dem Rektorat (bestehend aus dem/der Rektor*in, bis zu drei Prorektor*innen und dem/der Kanzler*in) und damit insbesondere dem/der Rektor*in zu viel Macht zugute. So obliegt es bspw. dem Rektorat, Zielvereinbarungen zwischen der jeweiligen Hochschule und dem SMWK auszuhandeln oder auch über die Einrichtung oder Aufhebung von Studiengängen zu beschliessen. Dabei muss gegebenenfalls lediglich das Benehmen des Senats eingefordert werden. Da das “Benehmen” juristisch kein “Einvernehmen” darstellt, ist das Rektorat dabei folglich nicht an den Senat gebunden. Analoges gilt auf Ebene der Fakultäten: Der/die Dekan*n als Vorsitzende*r des Fakultätsrates ist lediglich auf dessen “Benehmen” nicht aber etwa dessen “Einvernehmen” beschränkt. So kommt die Formulierung “im Benehmen mit [...]” ganze 18 mal im SächsHSFG vor, an dessen Stellen jeweils “im Einvernehmen mit [...]” stehen müsste.

(b) Die nach §10 Absatz 2 auszuhandelnden Zielvereinbarungen zwischen Hochschulen und dem SMWK orientieren sich vorwiegend an quantitativen Maßzahlen, so auch an Immatrikulations- und Absolvierendenzahlen. Dies setzt insbesondere Studiengänge und Fakultäten unter Druck, deren Immatrikulationszahlen “naturbedingt” tendenziell gering ausfallen. Es ist höchst fragwürdig, die Fortexistenz von Studiengängen oder ganzen Fakultäten an rein quantitativen Werten zu messen. Dies betrifft ebenso die Zielvereinbarungen an die Forschenden. So ist auch die Qualität der Forschung nicht allein an quantitativen Werten wie Publikationszahlen oder Zitationsindizes zu beurteilen. Es muss folglich gesetzlich geregelt werden, dass - wenn schon Zielvereinbarungen abzuschliessen sind - diese auf die jeweilige Wissenschaft individuell zugeschnitten werden müssen. Freiheitseinschränkende Zielvereinbarungen ohne qualitätssichernden Nutzen wie etwa Obergrenzen an Immatrikulationszahlen müssen gesetzlich ausgeschlossen werden.

(c) Die Möglichkeit des Austritts aus der verfassten Studierendenschaft muss rückgängig gemacht werden. Denn dies schwächt die studentischen Vertretungen, indem die Fachschaftsräte und Studierendenräte nicht mehr im Namen aller Studierenden agieren können, sondern lediglich für die verfassten Studierenden. Zudem stellen zu hohe Austrittszahlen aus der verfassten Studierendenschaft finanzielle Existenzprobleme der Fachschaften dar, denn nicht verfasste Studierende leisten keinen finanziellen Beitrag für diese. Damit wird zudem eine fachschaftsinterne Zweiklassengesellschaft begünstigt, nämlich wenn nicht verfasste Studierende aus fachschaftsfinanzierten Veranstaltungen aus eben diesen finanziellen Grund ausgeschlossen werden müssen oder andernfalls einen separaten Kostenbeitrag zu leisten hätten.

(d) Bildung ist ein öffentliches Gut und darf kein Privileg finanziell besser situierter Menschen sein. Daher darf es keine Studiengebühren (Semesterbeiträge werden hierbei nicht hinzugerechnet) geben, weder für Langzeitstudierende noch für Studierende aus nicht europäischen Ländern. Insbesondere von letzterer Gruppe von Studierenden Gebühren für deren Studium in Deutschland zu verlangen, widerspricht einerseits dem Gleichheitsprinzip vor dem Recht sowie dem angestrebten Ziel der Internationalisierung der Hochschulen. Deutschland und insbesondere auch Sachsen braucht Fachkräfte, die auch aus dem Ausland anzuwerben und vorzugsweise diesbezüglich auch in Sachsen auszubilden sind. Denn durch ein Studium in Deutschland werden nicht nur fachliche sondern auch integratorische (bspw. sprachliche) Grundlagen für eine anschliessende Beschäftigung in Deutschland gelegt. Ebenso dürfen aus Zweit- und Aufbaustudien keine Gebühren erhoben werden, um dem lebenslangen Lernen und (Weiter-)Bilden keinen Riegel vorzuschieben [8].

(e) Diversity muss institutionalisiert werden. Derzeit erfolgt die Gleichstellungsarbeit vorwiegend auf ehrenamtlicher Grundlage. Stattdessen müssen “ausfinanzierte Beauftragtenstellen” [8] geschaffen werden, um die Qualität der Gleichstellungsarbeit zu gewährleisten. Denn Beispiele für die notwendige stetige Arbeit gegen Geschlechterungleichheiten, Diskriminierungen und Marginalisierungen von Minderheiten bis hin zu Rassismus lassen sich in wenigen Minuten der Recherchearbeit zu Genüge finden.

(2) Argumente für die Stärkung der TU Chemnitz:

(a) Die Obergrenze von 11.000 Studierenden für die gesamte Technische Universität Chemnitz entbehrt jedweder rationaler Grundlage. Denn die Qualität der Lehre wird nicht dadurch gewährleistet, wenn Immatrikulationszahlen von Studiengängen durch künstliche Obergrenzen gedeckelt werden. Es spielt keine Rolle, für wie viele Studierende ein*e Vorlesende*r seine Vorlesung vorbereitet, sofern die Räumlichkeiten hinreichend viel Platz bieten. Auch für Übungsgruppen und Tutorien liessen sich durch überschaubar zusätzliche finanzielle Mittel hinreichend viele Mitarbeitende finden, die diese betreuen. Die Deckelung von Studierendenzahlen (bspw. mittels Numerus Clausus) sollte stattdessen den einzelnen Fakultäten überlassen bleiben, da diese ihre Personalressourcen am besten einschätzen können. Zudem stellen Studierende auch eine nicht zu unterschätzende Wirtschaftskraft für die Stadt dar. Studierende, die von weiter her nach Chemnitz ziehen, mieten sich einen Wohnheimplatz oder eine Mitwohnung, was den Chemnitzer Wohnungsmarkt belebt (was dieser dringend nötig hat). Studierende benötigen die Dinge des alltäglichen Lebens, kurbeln folglich den lokalen Einzelhandel an. Aufgrund der in Chemnitz geringen Lebenshaltungskosten sind Studierende auch potentielle Nutzer lokaler kultureller Angebote. Studierende verjüngen die Altersstruktur einer überalternden Stadt und sind potentiell langfristige Neubürger. Chemnitz benötigt wie (fast) jede andere Stadt Deutschlands Fachkräfte, ist als Stadt de facto aber weniger attraktiv als ihre Dauer-Konkurrenten Dresden und Leipzig. Fachkräfte kann Chemnitz daher am ehesten anlocken, wenn diese direkt in Chemnitz ausgebildet werden, denn im Laufe eines mehrjährigen Studiums wird in der Regel ein soziales Umfeld sowie eine gewisse Identität mit der jeweiligen Stadt aufgebaut. Es dürfte um ein Vielfaches schwieriger sein, Fachkräfte aus den pulsierenden Metropolen nach Chemnitz zu ziehen als selbst ausgebildete Fachkräfte zu behalten.

(b) Analoges Argument greift auch für die Ausbildung von Lehrenden der Sekundarstufe 2.

Diese Debatte enthält keine Argumente.
Es wurden keine Vorschläge eingebracht.